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Der Hallenkomplex beim westlichen Haupteingang des Kollegiengebäudes ist durch Abstufung in zwei gestaffelte, von Kreuzgratgewölben überdeckte Raumhälften unterteilt. Im unteren Teil, in den man vom Portal an der Künstlergasse her kommend durch einen Windfang gelangt, befindet sich die westliche Eingangshalle. Über eine kurze Treppe gelangt man in den oberen Teil, den Erschliessungsraum, von dem rechts zwei Türen in den Lichthof abbiegen und linker Hand das Turmtreppenhaus geradeaus in die Obergeschosse führt. Das Besondere von Karl Mosers Raumlösung lässt sich über den Vergleich mit dem entsprechenden Vestibül von Gottfried Sempers Polytechnikum verdeutlichen.
Sempers grossartiges Neorenaissance-Vestibül ist, wie bei Moser, in eine Eingangs- und eine atriumartige Treppenhaushalle unterteilt. Doch wo bei Semper der Raum durch die Komplexität barocker Durchblicke und der Schichtung der Niveaus charakterisiert wird, erscheint er bei Moser «offener» gestaltet. Anders als bei Semper ist Mosers Eingangshalle stützenlos, und wo bei Semper ein Triumphbogenmotiv zum Niveau der Treppenhaushalle leitet, führt bei Moser der Weg durch die mittlere von drei gleich hohen und fast gleich breiten Achsen. Diese Treppenachse ist eingefasst von je einem Paar gekuppelter, durch ein romanisierendes Doppelkapitell verbundener Kunststeinsäulen, während die beiden flankierenden Durchblicke durch schmiedeeiserne Brüstungsgitter abgegrenzt sind.
Bei Moser erscheint die Bauornamentik reduzierter als bei Semper. Doch auch Moser hat die Wände seiner Eingangshalle wie Semper differenziert geschichtet. Sie sind in flache, pompejanisch-rot ausgemalte Nischen gegliedert, die durch mehrstufige Rahmungen von den weissen Gewölbepilastern abgesetzt werden. Unter den Nischenrundbögen sind im ganzen Hallenkomplex Lünetten – ebenfalls mehrstufig gerahmt – platziert, wie sie vergleichbar in Sempers Vestibül vorkommen.
Mosers elf Lünetten – sie ähneln kleinen Thermenfenstern – hat Reinhold Kündig (1888–1984) mit Bildern ausgemalt, die u. a. das Wasser thematisieren. Doch auch ein blühendes Bäumchen vor einem Regenbogen, Ähren, über die ein Drache fliegt, sowie ein Pfauenpaar kommen vor – so, als ob die Lünetten auf die paradiesische Weinernte in Kündigs heute nicht mehr vorhandenen Halbkuppelmalerei im Abschluss der westseitigen Sammlungshalle vorbereiten wollten. Zur Sammlungshalle konnte man durch den Lichthofeingang in der Treppenhalle gelangen, während man von der Eingangshalle aus durch die beiden schmiedeeisernen Gitter, die sie von der Archäologischen Sammlung trennten, schon einen Blick von ihr erhaschen konnte.
Wie heute noch waren schon 1914 vor den gekuppelten Säulen, die die Stufen von der Eingangshalle zur Treppenhalle rahmen, zwei Gipsabgüsse antiker Statuen aufgestellt: links der Asklepios aus Frascati, rechts Zeus-Ammon aus Pergamon. Später kam rechts in der Treppenhaushalle eine Marmorkopie der Niobide aus den «Gärten des Sallust» in Rom hinzu. Sie war 1918 ein Geschenk des in Mailand ansässigen Schweizer Verlegers Ulrico Hoepli und wurde zuerst im Lichthof aufgestellt. In der Eingangshalle befinden sich noch zwei der ursprünglichen zylindrischen Pendelleuchten aus poliertem Messing mit Milchglaselementen. So kontrastieren da noch heute die «Erdverbundenheit» der antiken Statuen mit den «lichten» Errungenschaften moderner Technik und Gestaltung.
Michael Gnehm
Zu den Lünettenbildern vgl. Mario Lüschers Bildkommentar 64 in: Kunst Bau Zeit 1914 2014: Das Zürcher Universitätsgebäude von Karl Moser, hrsg. von Stanislaus von Moos und Sonja Hildebrand, Zürich 2014, S. 136.