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Verlässt man den Lichthof der Universität Zürich durch seinen südwestlichen Eingang, gelangt man in eine kleine Halle vor dem neuen viertürigen Südeingang des Kollegiengebäudes an der Doktor-Faust-Gasse. 1914 befanden sich an dieser Stelle keine Türen, der Raum bildete als «Römersaal» einen Teil der Archäologischen Sammlung. Wie damals schon führt der heutige Durchgangsraum westseitig über eine Treppe in das auf Gartenhöhe gelegene Foyer West. 2001–02 wurde hier ein neuer Zugang zur Mensa geschaffen, der zugleich den unterirdischen, neben der Mensa gelegenen neuen Hörsaal erschliesst, den das Architekturbüro von Annette Gigon (* 1959) und Mike Guyer (* 1958) gebaut hat. Bis da befand sich im jetzigen Foyer die Bibliothek des Sozialökonomischen Seminars. Ursprünglich jedoch fasste der Saal mit Kreuzgewölbe einen weiteren Teil der Archäologischen Sammlung.
Der Hörsaaleinbau und die Neugestaltung des Foyers waren zugleich ein «Kunst am Bau»-Projekt: Gigon/Guyer entwickelten mit dem Künstler Adrian Schiess (* 1959) ein Material- und Farbkonzept, das auch in die Wiederherstellung der ursprünglichen Raumverhältnisse des ehemaligen Sammlungsraums einfloss. Hier wurde die Farbigkeit der Wände rekonstruiert, sie sind nun bis zur Kämpferhöhe in Lindgrün gefasst. Die roten Verkleidungen zwischen den tief in den Raum ausgreifenden Wandpfeilern funktionieren als Wegweiser zum ebenfalls rot ausgemalten Halbkuppelraum, vor dem die Treppe zu Mensa und Hörsaal hinabführt. Dank den hinter den Verkleidungen gelegenen Fenstern strahlt das Rot in die Gewölbebögen ab und taucht den Raum in ein komplementärfarbenes Lichtspiel.
Die ehemalige Seitenhalle der Archäologischen Sammlung hat den Charakter einer spätrömischen Basilika – passend zu den damals darin aufgestellten Gipsabgüssen antiker Skulpturen. Zum basilikalen Eindruck trägt besonders die Apsis bei, wie sie sich auch im berühmten Beispiel der konstantinischen Palastaula in Trier findet. Was sich beim archäologischen Sammlungsraum nicht in dieses Basilika-Bild fügt, sind die je vier Nischen an den beiden Längsseiten zwischen den Wandpfeilern. Diese Unterteilung erinnert an barocke Wandpfeilerkirchen. Da verläuft das Langhaus, so bei der kleinen Klosterkirche in Seedorf (Kanton Uri), zwischen Kapellennischen, die durch Wandpfeiler voneinander getrennt sind.
Das Zusammenwirken verschiedener Künste, wie es Gigon/Guyer realisiert haben, war auch beim damaligen Sammlungsraum Teil des Konzepts von Karl Moser. Die Apsis des heutigen Foyers mit ihrem Halbkuppelgewölbe war ursprünglich mit Malereien von Reinhold Kündig (1888–1984) ausgemalt. Der untere Teil der Apsis war durch vertikale Prismenbänder gegliedert, über dem Apsisgesims setzte mittig ein helles Halbrund an, von dem Streifen ausstrahlten, die sich beim Apsisbogen in Voluten drehten: die aufgehende Sonne. Sie überstrahlte Szenen der Weinernte und tanzende Frauenakte: eine Art Paradies. Man muss unwillkürlich an Ausmalungen christlicher Kirchen denken. Tatsächlich findet sich Kündigs Bandornamentik vergleichbar im Chorgewölbe der Berner Heiliggeistkirche. Der Stil von Kündigs Malerei erinnert weiter an frühchristliche Deckenmalereien, die paradiesische Szene an das Apsismosaik von Sant’ Apollinare in Classe bei Ravenna. Kurz: Die antikisierende Basilika-Apsis wurde zum Chorraum und der Antikensaal (wie es in der Trierer Palastaula auch geschah) in einen christlichen Sakralraum umgewidmet.
Reinhold Kündigs Apsismalerei wurde höchstwahrscheinlich im Zuge des Kunstskandals 1915, der das neue Universitätsgebäude damals erfasst hatte, beseitigt. Es gereichte Kündig sicher nicht zum Vorteil, dass er Mitglied des avantgardistischen «Modernen Bunds» war.
Kündigs Malerei wurde Opfer des direkten Vergleichs mit der Antike: In der Apsis waren antike Porträtbüsten – darunter jene Marc Aurels – aufgereiht, davor wachte die Statue des sogenannten «Münchner Königs» (der in der jetzigen Archäologischen Sammlung ohne die ergänzten Unterarme zu sehen ist, die man wegliess, nachdem der Gipsabguss in den 1940er Jahren zerbrochen war). In dieser Gegenüberstellung mit dem «Klassischen» erwiesen sich Kündigs Figuren in ihrer «gewollt primitiven Weise» für die Kritiker offensichtlich als zu primitiv. Der damalige Archäologieprofessor Hugo Blümner, zuständig für die Sammlung, beantragte ihre Überstreichung; er hätte sich eine Ausmalung im griechischen Vasenstil gewünscht.
Die Exponate in diesem Sammlungsraum waren mehr oder weniger nach Perioden und Schulen angeordnet. Die Halle endete in der Apsis mit der griechischen und römischen Klassik – repräsentiert durch den «Münchner König», einen Abguss der kaiserzeitlichen römischen Marmorkopie der ursprünglichen griechischen Bronzestatue. Der Weg zurück führte chronologisch absteigend bis nach Ägypten. Unterwegs begegnete man in der zweitletzten rechtseitigen Nische einer Nachbildung des Löwentors von Mykene. Schliesslich stand man vor einem grossen Lünettenbild (1915) über den beiden von schmiedeeisernen Gittern geschützten Durchblicken in die Eingangshalle an der Künstlergasse. Das Gemälde war eine freie Komposition nach altägyptischem Vorbild. Wo damals zwischen den Gittern ein Abguss der Sitzfigur von König Chephren aufgestellt war, steht heute der Gipsabguss des Kouros von Samos, einer rund fünf Meter hohen Statue aus der griechischen Archaik, die 2008 anlässlich des 175-Jahr-Jubiläums der Universität Zürich dorthin platziert worden ist. Zum Kouros hätte nun wieder die «archaische» Malerei Kündigs in der gegenüberliegenden Apsis gepasst.
Michael Gnehm
«Höhlenmalerei»: Adrian Schiess im Gespräch mit Philipp Ursprung zum Hörsaal der Universität von Annette Gigon und Mike Guyer Architekten. In: Kunst Bau Zeit 1914 2014: Das Zürcher Universitätsgebäude von Karl Moser, hrsg. von Stanislaus von Moos und Sonja Hildebrand, Zürich 2014, S. 328-333.
Rüegg, Arthur: Weiterbauten an der Zürcher Universität: Von Karl Moser zu Gigon/Guyer. In: Kunst Bau Zeit 1914 2014: Das Zürcher Universitätsgebäude von Karl Moser, hrsg. von Stanislaus von Moos und Sonja Hildebrand, Zürich 2014, S. 314-327.