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Haus der Wissenschaft

14 Chaiselongue

Die blau gepolsterte Chaiselongue wurde Ende Januar 2008 aus Anlass des 175-Jahr-Jubiläums der Universität Zürich im Lichthof aufgestellt. Sie ist ein Denkmal für die Frauenrechtlerin Emilie Kempin-Spyri (1853–1901), die erste promovierte und habilitierte Juristin der Schweiz und die erste Privatdozentin an der Universität Zürich. Der Kunstauftrag, der unter Einbezug der Gleichstellungskommission der Universität Zürich an die Videokünstlerin Pipilotti Rist (* 1962) ging, geht zurück auf den von der Zürcher Frauenzunft «Gesellschaft zu Fraumünster» initiierten Festakt, der 2004 zur Erinnerung an Kempin-Spyri an der Universität Zürich abgehalten wurde.

Werdegang von Emilie Kempin-Spyri (1853-1901)

Rists Chaiselongue soll an die Pionierrolle von Emilie Kempin-Spyri für die Gleichstellung von Frau und Mann erinnern. Kempin-Spyri, die Nichte der Heidi-Erfinderin Johanna Spyri, begann 32-jährig als Mutter dreier Kinder an der Universität Zürich ein Jura-Studium, das sie 1887 mit dem Doktorat abschloss. Als die Universität Zürich ein erstes Gesuch Kempin-Spyris um Zulassung als Privatdozentin abgelehnt hatte, wanderte sie samt Familie nach New York aus. Dort gründete sie die Emily Kempin Law School, 1890 unterrichtete sie an der juristischen Fakultät der Universität New York als Professorin. 1891 kehrte Kempin-Spyri nach Zürich zurück, reichte ihre Habilitationsschrift in Bern ein und ersuchte in Zürich ein weiteres Mal um die Ernennung zur Privatdozentin. Obwohl die Universität Zürich dem Kanton die Ablehnung beantragte, hiess dieser das Gesuch schliesslich gut.

Kempin-Spyri war nun zwar Privatdozentin, doch das Anwaltspatent, um das sie gleichzeitig ersuchte, wurde ihr verwehrt. Dass der Kanton Zürich 1898 dann Frauen zur Advokatur zuliess, ist massgeblich auch Emilie Kempin-Spyri zu verdanken. Sie gründete die Zeitschrift Frauenrecht und mit Ilse Frapan den «Frauenrechtsschutzverein», veröffentlichte eine Schrift über die Rechtsstellung der Frau in der Schweiz und trat als erste Frau dem «Schweizerischen Juristenverein» bei. Ihre berufliche Zukunft sah Kempin-Spyri allerdings in Berlin, wo sie sich 1896 niederliess und an der Humboldt-Akademie, einer Art Volkshochschule, lehrte.

Vieldeutiges Kunstwerk

Mit dem Denkmal, das Pipilotti Rist als Chaiselongue im Massstab 2:1 schuf, wird weniger Kempin-Spyri erhöht, als vielmehr der Betrachter und Nutzer miniaturisiert: Über einen gleichgestalteten Schemel kann man auf die Chaiselongue klettern und sich Gedanken über die Verwandlungen der Welt machen. In Rists Werk kommen Grössenverschiebungen mehrfach vor. In Das Zimmer (1994/2000) – einer Video-Audio-Installation in einem überdimensionierten Wohnraum – sitzt auf einem gigantischen Sofa eine durch die Möbelgrösse winzig erscheinende Frau mit Fernbedienung vor einem normalgrossen Fernseher. Doch Rists Lichthof-Installation kann auch direkt auf ihren Ort bezogen gelesen werden: Der Lichthof in seiner – wie es der Kunsthistoriker Philip Ursprung genannt hat – Hybridgestalt zwischen Innen- und Aussenraum wird durch Rists Chaiselongue zum Interieur, zur überdimensionierten Stube. Eine Biedermeierstube aus dem 19. Jahrhundert, der Zeit Kempin-Spyris?

Die Holzarbeiten des Chaiselongue-Gestells nehmen tatsächlich ein Nationalgut aus dem 19. Jahrhundert auf: Sie wurden von der Schule für Holzbildhauerei in Brienz ausgeführt, die auf die 1884 gegründete Brienzer Schnitzlerschule zurückgeht. Sie war es, die um 1900 das «Brienzer Zimmer» im Bundeshaus schuf. Im Jahr der Einweihung von Mosers Universität hatte sie ihren Auftritt an der Schweizerischen Landesausstellung 1914 in Bern mit allerlei geschnitzten Tieren. Tiere tauchen auch bei Rists Chaiselongue auf: Das Gestell steht auf Adlerfüssen auf Weltkugeln, in seinem Rahmen wechseln einander Bienen und Schmetterlinge zwischen Blüten ab.

Das silbrige Stickornament auf der blau bespannten Polsterung ist aus dem vielfach wiederholten Schriftzug «PD Prof. Dr. iur. Emilie Kempin-Spyri» entwickelt. Obwohl Kempin-Spyri der Professorentitel nie verliehen wurde, nahm sich die Künstlerin Rist die Freiheit, auf der Chaiselongue den akademischen Titel von Kempin-Spyri durch ein eingeschobenes «Prof.» zu ergänzen.

An die Schweizer Professorin erinnert an der Law School der Universität New York ein nach Kempin-Spyri benannter Lehrstuhl. Am Rechtswissenschaftlichen Institut (Rämistrasse 74) der Universität Zürich ist 2009 im Foyer der Bibliothek eine Tafel zu Ehren von Emilie Kempin-Spyri eingeweiht worden.

Trotz der Gleichstellungsbemühungen der Universität Zürich hat mit Pipilotti Rist erst die zweite Künstlerin im Hauptgebäude ein Werk realisiert. Die erste Künstlerin war Margherita Osswald-Toppi (1897–1971), die Frau des Plastikers Paul Osswald: 1913 hatte sie erst sechzehnjährig Die vier Jahreszeiten geschaffen, 19 Flachreliefs mit kleinen menschlichen Figuren, die an drei erdgeschossigen Seiten des Lichthofs in den von Säulenpaaren gestützten Wandfeldern angebracht worden waren.

Michael Gnehm

Weiterführende Literatur und Links

Ehrentafel der Gesellschaft zu Fraumünster (in der Bibliothek des Rechtswissenschaftlichen Instituts, Rämistrasse 74).

Emilie Kempin-Spyris Lehrveranstaltungen an der UZH.

Forrer-Gutknecht, Else: Zur Geschichte des Frauenstudiums an der Universität Zürich. In: Das Frauenstudium an den Schweizer Hochschulen, hrsg. vom Schweizerischen Verband der Akademikerinnen, Zürich 1928, S. 19-53.

Streiter, Sabina: Die Rechts- und staatswissenschaftliche Fakultät. In: Ebenso neu als kühn, 120 Jahre Frauenstudium an der Universität Zürich, hrsg. Vom Verein Feministische Wissenschaft Schweiz, Zürich 1928, S. 177-184.

Hasler, Evelyne: Die Wachsflügelfrau: Geschichte der Emily Kempin-Spyri, Zürich 1991.

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