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Haus der Wissenschaft

9 Giacometti-Brunnen

In einer Nische im Stockwerk F findet sich eine selten beachteten Preziose, die 1914 im Universitätsneubau eingerichtet wurde: der Wandbrunnen mit dem Mosaik von Augusto Giacometti (1877–1947). Eine Inschrift aus hellen Steinchen dem Bogen entlang oben im Mosaik gibt Auskunft über die Entstehung des Brunnens: «Der Universität Zürich in ihrem neuen Heim gewidmet von den Frauen der Professoren 1914». Die Professorengattinnen hatten dafür Beiträge zwischen 10 und 100 Franken gestiftet, insgesamt knapp 2000 Franken waren durch die Spendensammlung zusammen gekommen.

Das Werk Giacomettis und Kappelers

Das ausbuchtende steinerne Brunnenbecken mit Girlanden-Relief und das darüberliegende Relief-Triptychon im unteren Drittel der Brunnenrückwand – in dessen mittlerem Feld das Brunnenrohr aus dem Mund einer bärtigen Fratze ragt – stammen von Otto Kappeler (1884–1949). Darüber ist Giacomettis Mosaik mit dem Titel Werden in die Brunnennische eingepasst. Es zeigt zwei in wallende Kleider gehüllte Frauen, deren linke eine blühende Pflanze mit Wasser aus einer Giesskanne begiesst, während die rechte die Wässerung begutachtet. In dunklen Steinchen ist in der unteren linken Mosaikecke der Name «Augusto Giacometti» eingefügt.

Die beiden das Brunnenrohr flankierenden Reliefs Kappelers werfen die Frage auf, wie die zwei pflanzenhegenden Frauen zu ihnen passen sollen. Dargestellt ist links ein Satyr, der den Aulos, eine gedoppelte Flöte, spielt, und rechts Pan mit seiner Flöte, der Syrinx. In diesem Kontext wird die Brunnenrohrfratze als Kopf eines Silens, eines älteren Satyrs, deutbar. Aus der Sicht dieser mythologischen Verklärung des Wassers erfahren auch die beiden Mosaikfrauen Giacomettis eine weitere Bestimmung: Sie erscheinen als Nymphen, die oftmals in Gesellschaft von Satyr und Pan anzutreffen sind. Die gesamte Brunnennische stellte so ein Nymphäum dar, ein Heiligtum mit Brunnen als kultischem Aufenthaltsort der Nymphen.

Erotische Note

Während nun Giacomettis Nymphen ihren Wasserdienst züchtig bekleidet verrichten, fügen Pan und Satyr der Szene doch eine erotische Note hinzu. Die Umstände, die zur Wahl dieser Motivkombination führten, sind nicht bekannt. Es ist aber nicht abwegig, an ein Vorbild zu denken, wie es in einem erotischen Roman aus der Renaissance, im Traumliebeskampf des Poliphilus, vorkommt. Darin ist in einem Holzschnitt ein antikischer Brunnen mit einer Reliefszene dargestellt, in der eine Nymphe im Schlaf unter einem Baum von einem Satyr mit zwei kleineren Satyrhelfern betrachtet wird. Die Szene ist mit der griechischen Inschrift «Der Erzeugerin (oder dem Erzeuger) aller Dinge» versehen und als locus amoenus, als «Lustort» ausgewiesen. Mit Blick auf diesen Bezug kann der Giacometti-Brunnen mit seiner Kombination von Satyr und Frau als Allegorie der schöpferischen Natur gelesen werden, die ihren Ursprung, ihre Quelle, in der Liebe in einem sehr fleischlichen Sinn hat.

Reaktionen der Stifterinnen des Giacometti-Brunnens, also der Professoren-Frauen, sind nicht überliefert. Durchaus denkbar, dass ihnen der sexuelle Unterton nicht wirklich bewusst wurde. Wie auch immer, die Satyr- und Pan-Thematik war im weiteren Sinn von Anfang an geplant. Ein Entwurf Augusto Giacomettis mit dem Titel Contemplation in Bleistift, Pastell, Gouache und Blattgold zeigt Kappelers Brunnengestaltung zwar ohne die dann ausgeführten Satyr-Reliefs, das Sujet des Brunnenmosaiks aber stellt eine kauernde Figur inmitten von drei Ziegen dar: einen Hirten, der vielleicht der verlockenden Musik von Pan, dem Hirtengott, lauscht.

Der Renaissance-Bezug des Brunnenmosaiks hat einen spezifischen Hintergrund. Nach Studienjahren u. a. in Paris war Giacometti bis 1915 in Florenz tätig, wo ihn auch Karl Mosers Auftrag erreichte. Dort setzte sich Giacometti mit der italienischen Frührenaissance auseinander und begeisterte sich für die Goldgründe Fra Angelicos. Der Goldgrund als Überbleibsel mittelalterlicher Malerei prägt denn wesentlich das Brunnenmosaik für den Universitätsneubau. Die beiden Frauenfiguren werden von einem Grund in abgestuften Goldtönen umfasst, während sie selber und die Pflanze aus schwarz-violetten, grauen und dunkelblauen Steinchen mit einzelnen roten Farbtupfern zusammengesetzt sind. Die Hautpartien der Frauen, die Gewandfalten und die Giesskanne bestehen aus hellen Steinchen.

Farbe und Abstraktion

Die fleckige, aber das Medium des Mosaiks betonende Darstellung bereitete damaligen Betrachtern durchaus Mühe. So würden sich, wie es hiess, erst «bei längerem Hinsehen von einem etwas aufdringlichen Goldgrund zwei schwarze Frauen loslösen». Tatsächlich schillert Giacomettis Mosaik zwischen Gegenständlichkeit und ihrer Auflösung in ein reines Farbenspiel. Es weist dabei Analogien zu Giacomettis damaliger Malerei auf, in der er mit breitem Pinsel oder Spachtel Farbenkompositionen bis zur kompletten Abstraktion schuf. Diese Besinnung Giacomettis auf die Farbe als das wesentliche und abstrakte Element der Malerei drückt sich auch in seinem Verständnis des Verhältnisses von Malerei und Architektur aus, das er damals Karl Moser mitteilte: Was zähle, sei «in erster Linie Farbe in Verbindung mit der Architektur». So besteht denn die Darstellungsweise seines Brunnenmosaiks in einer Mischung aus dem früheren französischen, figurativen Pointilismus («Tupfenmalerei») und dem späteren abstrakten Tachismus («Fleckenmalerei») der 1950er Jahre, als dessen Wegbereiter Giacometti gesehen wurde.

Giacomettis Oeuvre

Trotz dem Interesse und den Qualitäten seines Werks hat Augusto Giacometti heute nicht dieselbe Bekanntheit wie Alberto Giacometti (1901–1966), der Sohn eines seiner Cousins. Zu seiner Zeit aber war Augusto Giacometti einer der gefragtesten Schweizer Künstler. Er befreundete sich auch als einer der wenigen arrivierten Schweizer Künstler 1917 mit den Dadaisten in Zürich, wo er nach 1915 lebte. Giacometti konnte es sich erlauben, im Rahmen von Karl Mosers Universitätsneubau selber aktiv zu werden, nachdem das geplante Aula-Gemälde von Ferdinand Hodler nicht zur Ausführung kommen konnte. 1919 reichte er nach Hodlers Tod, offiziell nicht aufgefordert, einen eigenen Entwurf ein. Unter dem Titel Orpheus und die Tiere präsentierte er einen Vorschlag für ein in Rot- und Goldtönen gestaltetes Wandmosaik [1] Das himmlische Paradies (1945), im nördlichen Querschiff des Fraumünsters.

Auch die Nachbarhochschule, die ETH, zeigte Interesse an Augusto Giacometti. 1934 schuf er in ihrem Hauptgebäude an der Foyer-Wand vor dem Auditorium maximum ein Fresko, das Iktinus, den legendären Architekten des Athener Parthenons, zeigt. Die ETH zog auch ein weiteres Mitglied der Giacometti-Künstlerfamilie an: Bruno Giacometti (1907–2012), der jüngste Bruder Alberto Giacomettis, studierte ab 1926 Architektur bei Karl Moser, der 1915–28 Professor an der ETH Zürich war.

Michael Gnehm

[1] Augusto Giacometti, Orpheus und die Tiere, 1919, Pastell auf Papier, 52 x 92 cm, im Besitz der Universität Zürich. Foto in: Beat Stutzer und Lutz Windhöfel, Augusto Giacometti: Leben und Werk, Chur: Verlag Bündner Monatsblatt, 1991, Abb. 199.

Weiterführende Literatur

Franz Müller: Meditieren statt repräsentieren. Der skulpturale Bauschmuck der Universität. In: Kunst Bau Zeit 1914 2014: Das Zürcher Universitätsgebäude von Karl Moser, hrsg. von Stanislaus von Moos und Sonja Hildebrand, Zürich 2014, S. 294–311.

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