Giacometti-Brunnen

Wandbrunnen von Otto Kappeler mit Mosaik von Augusto Giacometti, dem Onkel von Alberto Giacometti, gestiftet 1914 von den Frauen der Professoren. (Bild: Frank Brüderli, UZH)

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Von Professorenfrauen gespendet

In einer Nische im Stockwerk F findet sich eine Preziose: der Wandbrunnen mit einem Mosaik von Augusto Giacometti. Er war, wie die Inschrift im Bogen des Mosaiks zeigt, «Der Universität Zürich in ihrem neuen Heim gewidmet von den Frauen der Professoren 1914». Die Professorengattinnen hatten dafür Beiträge zwischen 10 und 100 Franken gestiftet, insgesamt knapp 2000 Franken waren durch die Spendensammlung zusammen gekommen.

Das Werk Giacomettis und Kappelers

Das ausbuchtende steinerne Brunnenbecken mit seinem Girlanden-Relief und das darüber liegende Relief-Triptychon im unteren Drittel der Brunnenrückwand stammen von Otto Kappeler (1884–1949). Darüber ist das Mosaik mit dem Titel Werden von Augusto Giacometti (1877-1947) in die Nische eingepasst.

Es zeigt zwei zueinander gebeugte, in wallende Kleider gehüllte Frauen (abgesehen von Gesicht und Händen ganz in blau), von denen die linke eine zwischen ihnen blühende Pflanze mit Wasser aus einer Giesskanne begiesst, während die rechte die Wässerung begutachtet. Das Thema Wasser als Lebensquell ist im Hauptgebäude an verschiedenen Orten präsent; es kann auch als Sinnbild für Bildung (oder Lehre) verstanden werden, die erst den Menschen zur vollen Entfaltung seiner Begabung bringt.

Die beiden flankierenden Reliefs neben dem Brunnenrohr, das aus dem Mund einer bärtigen Fratze ragt, werfen die Frage auf, wie die zwei pflanzenhegenden Frauen zu ihnen passen sollen. Dargestellt sind links ein Satyr, der eine gedoppelte Flöte spielt, und rechts Pan mit seiner Flöte. In diesem Kontext wird die Brunnenrohrfratze als Kopf eines Silens, eines älteren Satyrs, deutbar. Aus der Sicht dieser mythologischen Verklärung des Wassers erfahren die beiden Mosaikfrauen eine weitere Bestimmung: Sie erscheinen als Nymphen, die oftmals in Gesellschaft von Satyr und Pan anzutreffen sind. Die gesamte Brunnennische stellt so ein Nymphäum dar, ein Heiligtum mit Brunnen als kultischem Aufenthaltsort der Nymphen.

Erotische Note

Während nun Giacomettis Nymphen ihren Wasserdienst züchtig bekleidet verrichten, fügen Pan und Satyr der Szene doch eine erotische Note hinzu. Die Umstände, die zur Wahl dieser Motivkombination führten, scheinen nicht bekannt zu sein. Es ist aber nicht abwegig an ein mögliches Vorbild zu denken, wie es in einem erotischen Roman aus der Renaissance, dem Traumliebeskampf des Poliphilus, vorkommt. Darin ist in einem Holzschnitt ein antikischer Brunnen mit einer Reliefszene dargestellt, in der eine Nymphe im Schlaf unter einem Baum von einem Satyr mit zwei kleineren Satyrhelfern betrachtet wird.

Die Szene ist mit der griechischen Inschrift «Der Erzeugerin (oder dem Erzeuger) aller Dinge» unterschrieben. Wie in diesem Renaissance-Roman auch gesagt ist, befindet sich der Brunnen an einem locus amoenus, einem «Lustort». Der Giacometti-Brunnen erwiese sich so durch die Kombination von Satyr und Frau als Allegorie der schöpferischen Natur, die ihren Ursprung, ihre Quelle, in der Liebe in einem sehr fleischlichen Sinn hat.

Es darf bezweifelt werden, dass den Professorenfrauen der sexuelle Unterton des Gesamtwerkes in dieser Art bewusst war – diesbezügliche Reaktionen der Stifterinnen sind jedenfalls nicht überliefert.

Der Renaissance-Bezug des Brunnenmosaiks hat einen spezifischen Hintergrund. Nach Studienjahren Giacomettis u. a. in Paris war er bis 1915 in Florenz tätig, wo ihn auch Karl Mosers Auftrag erreicht hatte. Dort setzte er sich weiter mit der italienischen Frührenaissance auseinander und begeisterte sich für die Goldgründe Fra Angelicos. Der Goldgrund als Überbleibsel mittelalterlicher Malerei prägt denn wesentlich das Brunnenmosaik für den Universitätsneubau. Die beiden Frauenfiguren werden von einem Grund in abgestuften Goldtönen umfasst, während sie selber und die Pflanze aus schwarz-violetten, grauen und dunkelblauen Steinchen mit einzelnen roten Farbtupfern zusammengesetzt sind. Die Hautpartien der Frauen, die Gewandfalten und die Giesskanne bestehen aus hellen Steinchen.

Farbe und Abstraktion

Die fleckige, aber das Medium des Mosaiks betonende Darstellung bereitete damaligen Betrachtern durchaus Mühe. So würden sich, wie es hiess, erst «bei längerem Hinsehen von einem etwas aufdringlichen Goldgrund zwei schwarze Frauen loslösen». Tatsächlich oszilliert Giacomettis Mosaik zwischen Gegenständlichkeit und ihrer Auflösung in ein reines Farbenspiel. Es weist dabei Analogien zu seiner damaligen Malerei auf, in der er mit breitem Pinsel oder Spachtel Farbenkompositionen bis zur kompletten Abstraktion schuf.

Diese Besinnung Giacomettis auf die Farbe als das wesentliche und abstrakte Element der Malerei drückt sich auch in seinem Verständnis des Verhältnisses von Malerei und Architektur aus, das er damals Karl Moser mitteilte: Was zähle, sei «in erster Linie Farbe in Verbindung mit der Architektur». So besteht denn die Darstellungsweise seines Brunnenmosaiks in einer Mischung aus dem früheren französischen, figurativen Pointilismus («Tupfenmalerei») und dem späteren abstrakten Tachismus («Fleckenmalerei») der 1950er Jahre, als dessen Wegbereiter Giacometti angesehen wurde.

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